"Die liebe Sonn scheint," wiederholte das Kind, wie aus einem Traume
erwachend, und sah mit mueden Augen zum Fenster hinaus. Dann legte sie die
Hand gegen die Stirn und sagte leise: "Ach Gotterl, Fraeulein, mir thut der
Kopf halt so weh!"
"Das wird sich geben, mein Herz. Nimm nur recht artig deine Medizin ein."
Sie kuesste Lilli und versicherte der sehr geaengstigten Lehrerin, das
Phantasieren der kleinen Kranken habe nichts zu bedeuten, bei lebhaften
Kindern stelle sich dasselbe bei einem harmlosen Schnupfenfieber ein. Und
mit diesem aufrichtig gemeinten Troste verliess sie das Zimmer.
Es schien, als habe sie wahr gesprochen. Gegen Mittag schlief Lilli ein.
Das Fieber hatte etwas nachgelassen und Fraeulein Guessow atmete erleichtert
auf. Als Ilse kam und teilnehmend mit trauriger Miene nach Lillis Befinden
fragte, winkte sie derselben freudig zu und fluesterte: "Sie schlaeft, - es
scheint eine Besserung eingetreten zu sein."
Ilse teilte sofort diese gute Nachricht den Freundinnen, die schon in
aengstlicher Sorge um den kleinen Liebling waren, mit, und brachte sie alle
wieder in froehliche Stimmung. Nur Flora blieb bei ihren duesteren
Prophezeiungen.
"Meine ahnungsvolle Stimme taeuscht mich nicht, ich fuehle es, der Tod wird
diese zarte Knospe brechen," sagte sie in tragischem Tone und probierte
dabei ihre neuen Ballschuhe an, streckte den Fuss weit von sich und
bewunderte mit sehr befriedigter Miene die zierliche, elegante Form des
Schuhes. Es war ihr wenig ernst mit ihren duestern Ahnungen!
Lillis Besserung war leider nur truegerisch gewesen. Waehrend die jungen
Maedchen heiter und gluecklich Toilette zum froehlichen Feste machten, lag
sie im heftigsten Fieber.
Fraeulein Guessow wich nicht von ihrem Bette und erklaerte mit aller
Bestimmtheit, dass sie diesen Platz nicht verlassen werde. Auf Fraeulein
Raimars Wunsch wurde die Verschlimmerung der Krankheit vorlaeufig geheim
gehalten; sie mochte keinen Missklang in die unbefangene Freude ihrer
Zoeglinge bringen, musste sie sich doch bei ruhiger Ueberzeugung sagen, dass
nichts damit gebessert werde. - So blieb denn die junge Lehrerin allein im
Krankenzimmer. Sie hoerte das unruhige Getappel im Vorderhause; dann und
wann schlug wohl ein froehliches Lachen an ihr Ohr - und endlich vernahm
sie die gedaempften Toene der Polonaise.
"Ilse, komm!" rief Lilli ploetzlich und Fraeulein Guessow fuhr erschreckt
zusammen. "Ilse, bitt, bitt schoen, komm! Ich fuehr dic
|