hklagen. Kein Auge blieb trocken bei dem Gedanken, den herzigen Liebling
fuer immer hergeben zu muessen.
Die junge Lehrerin entfernte sich und Ilse eilte ihr nach.
"Lassen Sie mich zu ihr," bat sie dringend und erhob die Haende. "Bitte!"
Sie konnte ihr diesen Wunsch nicht erfuellen. "Du darfst sie nicht
wiedersehn, Ilse," sagte sie fest und entschieden. "Sie hat sich so
veraendert, dass deine lebhafte Phantasie ihr trauriges Bild fuer lange Zeit
nicht vergessen wuerde. Sie ist nur noch ein Schatten des schoenen,
froehlichen Kindes."
Und sie kuesste die trostlose Ilse und kehrte in das Krankenzimmer zurueck,
das Fraeulein Raimar seit Mitternacht nicht wieder verlassen hatte.
Als Ilse wieder in den Speisesaal eintrat, stand Miss Lead fertig zum
Kirchgang angekleidet mit dem Gesangbuch in der Hand da. Sie trieb zur
Eile an, da es hohe Zeit sei, zur Kirche zu gehen.
"Ich kann Sie heute nicht begleiten, Miss Lead," entgegnete Orla, die ganz
gegen ihre Gewohnheit sich vom Gefuehle uebermannen liess und heftig weinte;
"ich kann es nicht!"
"Ich auch nicht! - Ich auch nicht!" erklaerten die uebrigen. Selbst Rosi,
die stets Sanfte und Gefuegige, bat um Verzeihung, wenn sie ebenfalls
zurueckbleibe. "Ich bin so aufgeregt und koennte nicht andaechtig auf die
Predigt hoeren," fuegte sie hinzu.
"Ich begreife euch nicht," sprach die Englaenderin hoechst erstaunt von
einer zur andern sehend. "Ist das Gotteshaus nicht der beste Ort fuer ein
gequaeltes Herz? Sagt nicht der Herr: {~SINGLE RIGHT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK~}Kommt her zu mir alle, die ihr
muehselig und beladen seid, ich will euch erquicken!{~SINGLE LEFT-POINTING ANGLE QUOTATION MARK~} Ich gehe und will fuer
die Kranke beten, vielleicht erhoert mich der Herr."
Und sie ging, und die englischen Pensionaerinnen schlossen sich ihr an. Sie
teilten in ihrem strengglaeubigen Herzen die Ansicht der Lehrerin. Nur
Nellie blieb zurueck. Nicht weil sie weniger glaeubig war - o nein! Sie
hatte ein kindlich frommes Gemuet, aber sie hatte auch ein
tiefempfindendes, warmes Herz; es waere ihr unmoeglich gewesen, das Haus,
das ihr eine liebe Heimat geworden war, in einem Augenblicke zu verlassen,
wo der Todesengel seinen Einzug halten konnte.
"Ich will auch beten," sagte sie leise wie fuer sich. Und sie trat in den
Hintergrund des Zimmers, kniete nieder, legte die gefalteten Haende auf
einen Stuhl und beugte den Kopf darueber. In dieser andaechtigen Stellung
verbrachte sie
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