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aber, ob ihre Selbstaendigkeit
sich so ploetzlich entwickelt haette, wenn die hilflose Art und Weise ihrer
Begleiterin dieselbe nicht herausgefordert haette. - Ganz stolz hob sie den
Kopf bei diesem Lobe und wuenschte: wenn Fraeulein Guessow doch gleich
dasselbe hoeren koennte! Sie hatte so grosse Besorgnisse gehabt, und jetzt
war sie Beschuetzerin, anstatt dass sie beschuetzt wurde! - Es war wirklich
ein recht erhebendes Gefuehl fuer sie, leider nicht von langer Dauer!
Als sie mit Frau Rat langsam dem Stationsgebaeude zuschritt, hoerte sie
laute Zurufe aus einem Koupee des noch haltenden Zuges. Ein fluechtiger
Blick und sie hatte sofort die Studenten erkannt. Ganz aengstlich ergriff
sie den Arm der Dame, denn in diesem Augenblick war all ihre frohe
Sicherheit geschwunden und sie fuehlte sich recht eines Schutzes beduerftig.
"Leb wohl - leb wohl - du suesse Maid! - Nur einen Abschiedsblick, reizendes
Lockenkoepfchen!" riefen die Uebermuetigen, und als der Zug schon im
Weiterfahren war, warf einer von ihnen ihr eine herrliche Rose zu, sie
fiel gerade zu ihren Fuessen.
Ilse wandte sich ab, sie wusste vor Scham und Verlegenheit nicht, wohin sie
den Blick wenden sollte.
"Kannten Sie die jungen Herren?" fragte Frau Rat. -
Ilse verneinte und erzaehlte, dass sie dieselben zum ersten Male bei ihrer
Abreise gesehen.
"Ja, das ist lustiges Blut!" meinte Frau Rat. "Die ganze Welt gehoert ihnen
und man darf es ihnen nicht uebel nehmen, wenn sie sich mehr herausnehmen
als andre. - Wollen Sie die Rose nicht aufnehmen, Kind?"
Ilse hatte wohl den Wunsch, aber sie schuettelte doch den Kopf. "Ich darf
nicht," sagte sie, und Fraeulein Guessows Worte: "keine Aufmerksamkeit von
einem Herrn anzunehmen," standen mahnend vor ihrer Seele. - Der Werfer
fuhr freilich auf und davon und niemals haette er erfahren, ob sie die Rose
nahm oder nicht, - trotzdem schwankte sie nicht, ihre Gewissenhaftigkeit
und das eigne Bewusstsein waren die Waechter, die sie zurueckhielten.
Frau Rat verstand sofort Ilses Benehmen und freute sich ueber ihr
Taktgefuehl. "Sie haben recht, Kind," sagte sie, "und eigentlich beschaemen
Sie mich etwas. Aber ich dachte nicht gleich daran, wer die Blume geworfen
hat. Ich sah das herrliche Prachtexemplar im Staube liegen und es that mir
leid um die unschuldige Rose."
Nach einer Stunde Aufenthalt fuhren die Damen weiter. Ilse hatte die Zeit
benuetzt, eine Korrespondenzkarte an Fraeulein Guessow zu schreiben. Als s
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