ehn Minuten Aufenthalt und Fraeulein Guessow hatte Zeit, ein
passendes Koupee fuer Ilse auszusuchen.
"Wo ist ein Damenkoupee? fragte sie den Schaffner, "diese junge Dame faehrt
nach W."
"Hier! hier!" rief es aus dem Fenster eines Koupees hinter ihr, "hier
koennen junge, huebsche Damen Platz nehmen!"
Das Fraeulein wandte den Kopf und blickte in ein froehliches
Studentenangesicht. Das Cereviskaeppchen sass ihm keck auf einem Ohre und
kaum geheilte "Schmisse" schmueckten Kinn und Wange. Hinter ihm standen
noch einige andre Studenten und lachten zu dem Scherze ihres Freundes.
Laut und ungeniert bewunderten sie die jungen Maedchen.
"Entzueckend! Wunderbar! Fortuna mit dem Fuellhorne!" riefen sie den Damen
nach, die sich eilig entfernten. - Fraeulein Guessow ergriff unwillkuerlich
Ilses Hand, die hocherroetet war.
[Illustration]
"Wie unverschaemt!" sagte sie entruestet, "wie konnten sie das wagen! Ach
Ilse, ich bin in Sorge um dich!" - Und sie liess einen recht besorgten
Blick ueber das junge Maedchen hingleiten, das in seinem schottischen
Reisekleide, dem passenden Barett mit blau schillerndem Fluegel an der
Seite, ueberaus lieblich aussah. - "Du reistest noch niemals allein, und
jetzt musst du ohne Schutz die lange Fahrt machen. Wenn doch dein Papa dich
abgeholt haette!"
"Das war nicht moeglich!" entgegnete Ilse. "Er musste daheim bleiben, um
Mamas einzigen Bruder, der zehn Jahr in der Welt umhergereist ist, heute
zu begruessen. Ich habe ihn selbst darum gebeten, als er mir schrieb, dass er
trotzdem kommen wolle. Ich bin auch gar nicht aengstlich, es ist ja heller
Tag. Papa hat mir auch die ganze Reiseroute so genau aufgeschrieben, dass
ich mich nicht irren kann."
"Lies mir das noch einmal vor," sagte Fraeulein Guessow. "Ich moechte dich
gern mit meinen Gedanken begleiten. Du, Nellie, koenntest indessen Ilses
Handgepaeck in das Koupee legen."
Ilse nahm aus einem roten Ledertaeschchen, das sie an ihrem Guertel
befestigt an der Seite trug, einen Brief und las:
"Um elf Uhr Abfahrt von dort, um zwei Uhr Ankunft in M. Bis drei Uhr
Aufenthalt daselbst. Dann Weiterfahrt _ohne umzusteigen_ bis Lindenhof. Um
fuenf Uhr langst du dort an, steigst aus und wirst von meinem alten
Freunde, Landrat Gontrau mit seiner Frau, empfangen. Sie nehmen dich mit
hinaus nach Lindenhof, wo du, auf ihre dringenden Bitten, uebernachtest.
"Am andern Mittag faehrst du weiter und Gontrau hat mir versprochen, dich
sicher zur Bahn
|