Wie das Klosterleben die koerperliche Kraft
eines jungen Menschenkindes zurueckhielt, so musste es auch die
aufstrebende Willenskraft erschlaffen. Die Klostermauern beengten nicht
nur das aeussere Gesichtsfeld, sie machten auch das geistige Auge
kurzsichtig. Wenn auch die gaehnende Langeweile demjenigen nicht zu
Bewusstsein kam, der von nichts anderem wusste, so musste doch der Geist
nach Eindruecken lechzen, so dass das Sprichwort begreiflich wird, welches
den Klosterbewohnern die Sehnsucht nach Erlebnissen zuschreibt:
"Neugierig wie eine Nonne". Und die staendige Aufgabe, "das Leben in
sich abzutoeten", konnte bei einer gesunden Natur erst recht die Frage
erwecken, was Leben sei. Wenn bei dem Mann im Kloster der Verstand sich
heisshungrig auf die Wissenschaft werfen konnte, so blieb die
eigentuemliche Lebenskraft des Weibes, das Gemuet hier unbefriedigt[66].
Gewiss die allermeisten dieser adligen Fraeulein hatten es aeusserlich
angesehen im Kloster besser, behaglicher, luxurioeser als daheim im
beschraenkten Haushalt der Eltern oder eines eigenen Gatten; und das
Ansehen, das eine gottgeweihte Jungfrau in den Augen des Volkes und
besonders der Kirche, und nicht zum wenigsten in dem eigenen Bewusstsein
hatte, war viel groesser als dasjenige, das eine arme Edelfrau draussen in
der Welt finden konnte. Aber der ganze Zwang der Unnatur und die
Kuenstlichkeit all dieser Verhaeltnisse musste, wenn auch ohne klares
Bewusstsein, auf einen wahrhaften und gesunden Geist druecken.
Nur das eine Gefuehl konnte die Nonne ueber alle Zweifel, alle Entsagung,
alle Pein, alle Langeweile des Klosterlebens hin wegheben: das
Bewusstsein, ein gottwohlgefaelliges Werk zu thun, sich ein besonderes
Verdienst vor Gott zu erwerben, sich die zeitliche Heiligkeit und die
ewige Seligkeit zu versichern. Aber wie dann, wenn diese Grundbedingung
alles Nonnentums, dieser Grundpfeiler alles Klosterlebens erschuettert
und untergraben wurde, ja sich selbst als morsch und faul erwies? Dann
musste das ganze Gebaeu zusammenstuerzen, dann musste eine gegen sich
aufrichtige und willensstarke Natur die Konsequenzen ziehen und ein
Leben verwerfen und verlassen, das als heiliger und seliger Beruf
erschienen war und bisher den ganzen Menschen erfuellt hatte.
Und dieser Fall trat bei Katharina ein. Aber freilich ihr verstaendiger,
nuechterner Sinn wird sie auch davor bewahrt haben, in krankhafter
Schwermut sich unglueckselig zu beklagen oder sich hinauszusehnen
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