, kleine Weisheit," troestete Nellie. "Was man
in der Mund steckt, ist kein Diebstahl, merken Sie sich das! Fraeulein
Raimar bekommt auch so grosse Kostgeld, da bezahlen wir die paar lumpige
Apfel alle mit. - Komm, gieb mir ein Kuss und sieh nicht so truebe aus, du
klein Spitzbube!"
Mit Nellie war schwer streiten. Sie widerlegte so harmlos und sah so
schelmisch dabei aus, dass Ilse, wenn sie auch nicht ueberzeugt wurde, sich
wenigstens nicht mehr so hart anklagte. Aber auf einem bestand sie. Nellie
musste ihr die Hand darauf geben, dass niemals wieder ein aehnlicher Streich
von ihnen ausgefuehrt werden solle. - -
* * *
Die Tage wurden kuerzer und kuerzer. Der Oktoberwind fuhr sausend durch die
Baeume und trieb sein lustiges Spiel mit den trocknen, gelben Blaettern.
Oede und verlassen lag der Garten des Instituts, denn der schoene
Aufenthalt im Freien hatte so ziemlich ein Ende, die Maedchen waren mehr
und mehr auf die Zimmer angewiesen.
In den Wochentagen empfanden sie das kaum, aber an den
Sonntagnachmittagen, die sie gewohnt waren, im Garten zu verleben, da
fuehlten sie sich doppelt eingeengt. In den Zimmern war es so dumpf, so
langweilig; so war Ilses Ansicht. Man konnte doch nicht immer Briefe
schreiben, oder naehen. Sich die Zeit verkuerzen mit Romanschreiben, das
konnte nur Flora, die denn auch den innigen Wunsch hatte, die
Sonntagnachmittage moechten ewig dauern.
[Illustration]
"Ich komme heute auf euer Zimmer," sagte sie eines Sonntagmorgens zu den
Freundinnen. "Ich werde euch meine neueste Novelle vorlesen, natuerlich nur
den Anfang und den Schluss, das andre habe ich noch nicht geschrieben, ich
mache es immer so. Ich sage euch, ihr werdet entzueckt sein, Kinder! Ich
selbst fuehle, wie entzueckend mein neuestes Werk mir gelungen ist!"
Nellie laechelte. "Wie ich mir auf dieser neue Werk freue!" sprach sie
neckend. "Immer nur die Anfangs und die Endes macht Flora. Die langweilige
Mitte lasst sie aus! O, sie ist ein grosser Dichter!"
Flora war heute gar nicht empfindlich, sie that, als hoere sie Nellies
Neckereien nicht.
"Also auf heute nachmittag!" sagte sie und drueckte Ilse die Hand.
Nach der Kaffeestunde begleitete sie denn auch die beiden Maedchen auf ihr
Zimmer, und nachdem alle drei am Fenster Platz genommen hatten, zog sie
mit wichtiger Miene mehrere lose Blaetter aus ihrer Kleidertasche hervor.
"Fang doch an dein' Novelle, warum besinnst du dir?"
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