lichkeit, die streng innegehalten wurden, - schwer genug hatte sie
sich in all diese Dinge gefunden, und wer weiss, ob sie es ueberhaupt je
gethan haette, wenn Nellie nicht wie ein guter Geist ihr stets zur Seite
gestanden haette. Mit ihrer froehlichen Laune half sie der Freundin ueber
manche Schwierigkeit hinweg und oft verstand sie es, durch ein Wort, ja
durch einen Blick dieselbe zu zuegeln, wenn sich die alte Heftigkeit melden
wollte.
Eine heftige Szene hatte sie uebrigens nicht wieder herbeigefuehrt. Fraeulein
Guessows Erzaehlung war auf fruchtbaren Boden gefallen und hatte ihren
trotzigen Sinn etwas nachgiebiger gemacht.
Ueber ihre Fortschritte und Faehigkeiten herrschte unter ihren Lehrern und
Lehrerinnen eine sehr verschiedene Ansicht, wie dieses in der letzten
Konferenz recht deutlich zu Tage trat. Der Rechenlehrer und der Lehrer der
Naturgeschichte behaupteten, dass Ilse ohne jede Begabung sei, dass sie
weder Gedaechtnis, noch Lust am Lernen besitze. Andre waren vom Gegenteile
ueberzeugt. Fraeulein Guessow, die in der Litteratur und Doktor Althoff, der
Deutsch, Geschichte und in der franzoesischen Litteratur unterrichtete,
waren in jeder Beziehung mit Ilses Kenntnissen und ihren Fortschritten
zufrieden. Professor Schneider lobte ganz besonders ihren Fleiss und ihre
Ausdauer, die sie bei ihm entwickle, und erklaerte mit aller
Entschiedenheit, wenn Ilse so fortfahre, wuerde sie es mit ihrem Talente
weit bringen, sie habe in den acht Wochen, in denen sie seine Schuelerin
sei, so grosse Fortschritte im Zeichnen gemacht, wie nie eine andre zuvor.
Ueber dieses Lob geriet Monsieur Michael in Entzuecken. Ja er vergass sich
in seiner lebhaften Freude so weit, dass er ausrief; "Bravo, Monsieur
Schneider! So spreche auch ich, sie ist eine hochbegabte, eine
entzueckende, junge Mademoiselle."
Fraeulein Raimar laechelte ueber diese Ekstase und erkundigte sich nach Ilses
Betragen.
Da kam denn leider manches bedenkliche Kopfschuetteln an den Tag. Besonders
wurde von einigen sehr geruegt, dass sie bei dem geringsten Tadel eine
trotzige Miene mache, dass sie sogar mehrmals gewagt habe, zu
widersprechen.
"Leider, leider ist dem so," bestaetigte die Vorsteherin, "und ich habe
nicht den Mut, zu glauben, dass wir sie aendern koennen. Ich fuerchte sogar,
dass ihr zuegelloser Sinn uns eines Tages eine aehnliche Szene, wie die
bereits erlebte, machen wird, und was geschieht dann?"
"Dann geben wir sie den Eltern zurueck,"
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