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bestanden hatte, ging sie, nachdem sie die Grossmama durch den Tod
verloren, nach London. Sie wirkt dort als Lehrerin in einem Institute."
"Und der Maler? Hat die arm' Lucie nie gehoert davon?"
"Seine Werke hat sie oft in den Galerien bewundert - er selbst blieb
verschollen."
"Oh wie ein furchtbar trauriges Geschicht' ist das!" rief Nellie. "Es thut
mich sehr weh."
Und Ilse? Sie sass da, die Haende gefaltet, mit gesenktem Blick. Sie war bis
in das Innerste getroffen. Wie Lucie haette auch sie gehandelt, auch sie
wuerde es bis zum Aeussersten getrieben, auch sie wuerde ihr Lebensglueck im
trotzigen Uebermute geopfert haben. - Noch schwankte sie einen Augenblick,
wie im Kampf mit sich selber, dann aber erhob sie sich schnell und ergriff
Fraeulein Guessows Hand.
"Ich will um Verzeihung bitten," sagte sie in leisem Tone, es war, als ob
sie sich scheue, ihre eigenen Worte zu hoeren.
Ueber der Lehrerin Gesicht glitt ein Freudenschimmer. Sie nahm die Reuige
in den Arm und kuesste sie zaertlich.
"Geh' - geh'," sagte sie geruehrt, "und wenn je ein boeser Geist wieder ueber
dich kommen will, denk' an Lucies traurige Geschichte."
Zoegernd und beklommen stieg Ilse die Treppe hinunter. Vor der Vorsteherin
Zimmer blieb sie stehen. Sie konnte sich nicht entschliessen, die Thuer zu
oeffnen. Zweimal hatte sie schon die Hand nach dem Druecker ausgestreckt und
wieder zurueckgezogen. Es war so furchtbar schwer, die erste Abbitte zu
thun. Ob sie umkehre?
Einen Augenblick war sie es willens, ja, schon machte sie eine leichte
Wendung zurueck, da hoerte sie Fraeulein Guessow die Treppe herabkommen.
Sollte dieselbe sie unverrichteter Sache hier finden? Sie haette sich vor
ihr schaemen muessen. Mit einem tiefen Atemzuge oeffnete sie die Thuer.
[Illustration]
Die Vorsteherin sass an ihrem Schreibtische; als sie Ilse eintreten sah,
erhob sie sich.
Ilses Herz klopfte zum Zerspringen. Als sie das strenge, zuernende Auge
Fraeulein Raimars auf sich gerichtet sah, entsank ihr der Mut. Sie
versuchte zu sprechen, aber es war ihr unmoeglich, ein Wort
hervorzubringen, die Kehle erschien ihr wie zugeschnuert. Es war eine
Folterqual, die sie ausstand, und wenn jetzt der Boden unter ihren Fuessen
sich ploetzlich geoeffnet und sie haette verschwinden lassen, sie wuerde es
fuer eine Wohlthat des Himmels angesehen haben. Aber diese Wohlthat blieb
aus, und Ilse stand noch immer wortlos vor der Vorsteherin.
Schon regte sich wiede
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