immer, um ihn allein und ungestoert zu lesen - es war doch
endlich - endlich ein Zeichen von ihm!
"Hastig oeffnet sie und in zwei Teile gebrochen fiel ihr Curts
Verlobungsring entgegen. Wenige Zeilen nur schrieb er dazu. - Ich will
versuchen euch dieselben zu wiederholen," unterbrach sich Fraeulein Guessow,
"Lucie hat sie mir oftmals zu lesen gegeben.
"Du hast mich nicht zurueckgerufen, - - so sehnsuechtig ich auch darauf
gehofft habe. Liebtest Du mich, wie ich Dich, waere es Dir nicht schwer
geworden, ein versoehnendes Wort zu sagen. Lebe wohl denn, ich muss von Dir
scheiden, Lucie, weil ich Dir nicht versprechen kann, Dir stets Wohlstand
und Glueck zu bieten. - - Mit welchem Rechte koennte ich vom Schicksal
verlangen, dass mein Leben nur von der Sonne beschienen werde? Leb' wohl, -
ich habe Dich sehr geliebt." -
"Wie gebrochen sank sie zur Erde nieder und haette vor Schmerz vergehen
moegen. Das hatte sie nicht gedacht, - so weit hatte sie es nicht treiben
wollen. - Nun war es zu spaet, alle Reue, alle Selbstanklage, brachten ihr
den Geliebten nicht zurueck.
"Die Grossmama fand Lucie in einem verzweiflungsvollen Zustande, und
heimlich, ohne ihr Wissen, schickte sie einen Boten in Curts Wohnung. Er
kehrte zurueck mit der Meldung: der Herr sei seit zwei Stunden abgereist. -
Sie hatte ihn auf ewig verloren!" -
"O, die arm' Lucie! Der schlechter Mensch, warum konnt' er ihr verlassen!"
rief Nellie unter Weinen. "Er hat ihr gar nix lieb gehabt."
"Er hat sie sehr geliebt," entgegnete die Lehrerin und sah hinaus auf den
stroemenden Regen; "aber er war ein ganzer Mann, der Lucies trotzigen
Widerstand nicht laenger ertragen konnte."
"Und wo ist Lucie geblieben?"
"Lucie?" wiederholte Fraeulein Guessow zoegernd, - "ein trauriges Geschick
hat sie getroffen. Ein Jahr nach dem Geschehenen verlor die Grossmutter
fast ihr ganzes Vermoegen. Die Villa musste verkauft werden und Lucie, das
verwoehnte und verzogene Maedchen, war gezwungen, fuer die Zukunft ihr eignes
Brot zu verdienen."
Ilse sah entsetzt die Lehrerin an. "Ja, ihr Brot zu verdienen," betonte
dieselbe. "Das erschreckt dich, nicht wahr? Aber es wurde ihr nicht so
schwer, als sie einstmals geglaubt. Seit jenem Tage, da sie das Schwerste
erfahren, war eine Aenderung in ihrem Wesen vorgegangen. Still und ernst
ging sie einher und ihr uebermuetiges Lachen war verschwunden. - Sie
bereitete sich vor, Gouvernante zu werden, und als sie ihr Exame
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