Schein!
"Carlos, Carlos!" schrie Ange auf. Noch einmal stieg das Gefuehl der
Bitterkeit empor, freilich um in dieser sanften Seele ebenso schnell
wieder zu verloeschen.
Zuletzt ward Ange noch von einem anderen unruhigen Gedanken beherrscht.
Wenn sie nicht zurueckkehrte! Wenn jemand ihres Gatten Papiere fand, sie
las und der Welt offenbar ward, er habe Hand an sich selbst gelegt--?
Hoeher als alles stand doch die Pflicht, seinen Namen ueber das Grab hoch
zu halten. Sie beschloss, seine Aufzeichnungen zu vernichten, und ihre
Pietaet liess sie doch wieder mit der Ausfuehrung zaudern.
So stand das arme Weib, in der Hand die wenigen Goldstuecke und das Herz
voller Zweifel, Sorgen und Aengsten. Sie befand sich in einem Zustande
des grausamsten Kampfes. Ihre gute Natur lehnte sich auf gegen die
geheimen Fluesterstimmen ihres inneren, welche ihr zuriefen: Sprich
irgend eine Luege und Du wirst Dich aus Deiner Sorge befreien!
Immer wieder durchkreuzten ihre Gedanken die Frage: Wo schaffst Du Dir
Geld? Und immer wieder antwortete das geschaeftige Teufelchen: Meide die
Wahrheit, umgehe, verschweige sie und verbirg Deine Not unter einer
sorglosen Miene.
Und diese fluesternde Stimme hatte nicht ganz unrecht. Olgas Brief gab
den Beweis. Einmal beschloss Ange, sich der Gouvernante anzuvertrauen,
aber sie verwarf diesen Plan wie alle anderen. Luegen, verheimlichen
konnte sie nicht: offen alles darzulegen, verbot ihr nach den
gewonnenen Erfahrungen die Klugheit.
Inzwischen kehrte der Diener zurueck und meldete, dass der Zug um die
Mittagszeit abginge. Es fehlten noch einige Stunden. Schon wollte er
sich nach Erledigung seines Auftrages entfernen, als Ange gleichgueltig
hinwarf:
"Wissen Sie zufaellig den Preis des Billets, Philipp?"
Der Diener bejahte, indem er in einem Kursbuch nachschlug, das er
gekauft hatte und Ange einhaendigte.
Wie bezeichnend war es!
Waehrend er suchte, beunruhigte Ange der Gedanke, dass dieses Buechlein
noch bezahlt werden muesse, dass der Diener den Betrag verauslagt habe.
Nun nannte dieser den Fahrpreis fuer die erste Klasse.
"Und die zweite?" fragte Ange obenhin, indem sie in ihren Gedanken die
genannte Summe hastig mit ihrem kleinen Besitz verglich. "Gut, ich danke
Ihnen."
Der Diener verbeugte sich und ging. Es war Ange beinah ein Trost, dass
jener als selbstverstaendlich vorausgesetzt hatte, dass sie die erste
Klasse waehlen werde. Noch schien ihre Umgebung von den gaenzlich
ve
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