eigene Not und die meiner Angehoerigen, die ganz
auf mich angewiesen waren, bestimmte mich, die Stellung eines
Haushofmeisters bei dem Herrn Grafen von Clairefort anzunehmen, die ich
seit so vielen Jahren bekleidet habe. Ich musste verdienen, gleichviel in
welcher Lebensstellung, und hier fand ich, was ich suchte. Waehrend
dieser Zeit habe ich die Meinigen ernaehrt, ja mir selbst ein wenig
sparen koennen fuer meine spaeteren Tage. Was ich empfand, gnaediger Herr,
als Sie mir gestern die Aussicht eroeffneten, fuers Leben an Ihrer Seite
bleiben zu duerfen, vermag ich nicht zu sagen. Und Sie werden nach dieser
Darlegung auch verstehen, welche Sorge von mir genommen ist. Ich bin ja
nun sicher, dass die Meinigen--" In dem hageren Gesicht stieg's bei
diesen Worten auf, wie wenn der Sonnenschein ploetzlich durch dunkle
Wolken bricht, und die Ruehrung uebermannte den Mann so sehr, dass er sich
abwandte.
"Wie? Alle die Jahre haben Ihre Frau, Ihre Mutter und Schwester
lediglich von Ihrem Fleiss gelebt?" sagte Teut voll bewundernden
Erstaunens. "Braver Mann! Ich danke Ihnen fuer Ihr Vertrauen! Ich schaetze
es um so hoeher, weil selbst Ihre engsten Freunde von diesen Dingen
nichts wussten. Es bleibt wahr: Die echten Perlen liegen versteckt in den
Muscheln tief auf dem Meeresgrund! Man muss sie muehsam hervorholen. Eine
echte Perle ist solche Pflichterfuellung und den Ruhm nicht an den
breiten Weg stellen! Sie ueben sie um ihrer selbst willen, in der Stille,
ohne Geraeusch. Das heisst ein Christ sein! Hier meine Hand, Sie braver
Mensch! Ich bitte jetzt um Ihre Freundschaft! Ich biete sie Ihnen nicht
mehr an!"
Tibet richtete sich bei diesen Worten in seiner ganzen Groesse empor; ein
ungewoehnlicher Glanz trat in seine Augen, und ueber sein Angesicht flog
der Widerschein eines Sturmes von Empfindungen.
"O, zu viel! Zu viel, gnaediger Herr!" rief er in jenem Rausche, der nur
die Brust solcher Menschen zu durchdringen vermag. "Mit diesem Worte
habe ich nicht umsonst gelebt! Mit diesem Tage werde ich ein anderer in
dieser Welt und die Welt eine andere fuer mich! Aber mit diesem Worte,
gnaediger Herr, haben Sie auch Ernst Tibet zu Ihrem Schatten gemacht fuer
alle Tage und Stunden seines Lebens! Was ich bin und habe fuer die
Zukunft, gehoert Ihnen!"
* * * * *
Es war Morgenzeit. Ange oeffnete voll Ungeduld einen Brief, den sie
soeben erhalten hatte. Derselbe war von Tibet, welcher mitteilte, dass er
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