sitzen.
Waehrend sie, selbst noch bleich von der Pflege, der Sorge und den
Anstrengungen der Nachtwachen, aber mit einer gleichsam vergeistigten
Schoenheit vor ihm sass, ihre stillen, liebewarmen Augen auf ihn richtete,
sagte er:
"Ich habe in diesen Tagen der Ruhe und des Nachdenkens immer wieder
darueber nachgedacht, wie sehr ich waehrend meiner ganzen Lebenszeit ohne
die Unfaelle gerechnet habe.
"Immer, wenn ich eben glaubte, mein Spiel zu gewinnen, die Dinge nach
meinem Willen lenken zu koennen, zog am Himmel eine Wetterwolke auf,
entlud sich und zerstoerte, was ich geplant oder gar schon aufgebaut
hatte.
"Ist immer der Charakter auch des Menschen Schicksal? Ich frage mich, ob
ich allezeit die Schuld an den Enttaeuschungen trug, die mir geworden
sind!?
"Vielleicht! Vielleicht deshalb, weil ich mich niemals begnuegen konnte,
nur eine Nummer zu sein, weil ich--einmal auf dieser Erde, und mit
Kraeften und Genusssinn versehen,--auch dem Leben etwas abgewinnen, ja,
etwas erreichen, erobern, mein Eigentum nennen wollte."
"Beziehen sich Ihre ersten Worte auch auf das, was Ihnen hier geschah?"
fiel Frau Adelgunde ein.
Sie forschte in seinem Angesicht in einem Gemisch von Schmerz und
Trauer.
"Ja--und nein," entgegnete Klamm, und gab ihr durch Mienen und Betonung
zurueck, was sie, in solche Frage eingekleidet, aus ihrem tiefsten Innern
hervorholte.
"Ich will voellig ehrlich gegen Sie sein, wozu es mich stets draengt,
obschon diese Art nicht grade immer weise ist, mir gar oft, meist
schaedlich war.
"Die Wahrheit darf in unserer Welt einmal nicht nackt gehen, sie muss
sich verhuellen!
"Ich wollte vor meiner Erkrankung wieder so rasch wie moeglich von Ihnen
scheiden. Ich wollte mich vor mir selbst behueten. Der Gedanke, Sie nun
doch um das zu bitten, was Sie mir einst gewaehren wollten--was sich fuer
uns beide zerschlug--scheiterte an der Ueberlegung, dass es Ihnen einmal
nicht gegeben sei, nur fuer einen zu leben, nur einen zu lieben, in
eigentlichem Sinne Treue zu ueben, sich in der Ehe wirklich anzupassen.
"Ich hatte Furcht vor der Zukunft, und ich hatte Furcht vor der
oeffentlichen Meinung, die mir, die uns nachsagen wuerde: 'Die
Charakterlosen schlagen und vertragen sich!' Ich wollte endlich auch das
unberechtigte Vorurteil zerstreuen, das die Menge beherrscht: dass ein
Mann, und besonders ein Adeliger, mit einer stark wechselnden
Vergangenheit, sein ernsthafter, sittlicher, auf seinen Namen und
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