uten Morgen bietet.
Nennt man ein nach festgesetzten Regeln genau gebildetes Ganzes
ein vollendetes Kunstwerk, so hat die franzoesische Tragoedie
vor allen anderen den Vorzug. Streng abgemessen sind Zeit und Ort.
Jeder Vers, jedes Wort findet im Parterre Richter, die keinen Verstoss
gegen einmal festgesetzte Regeln hingehen lassen. Gesetze des
sogenannten Wohlstandes, wie keine andere Nation sie kennt,
binden den Dichter wie den Schauspieler. Beide duerfen sich nur
in scharf gezogenen Schranken bewegen. Das auf diese Weise muehevoll
hervorgebrachte Kunstwerk blendet, setzt in Erstaunen, erregt
Bewunderung; aber wir bleiben ohne Teilnahme dabei, und ein Froesteln,
das wir ungern Langeweile nennen moechten, bemaechtigt sich unser.
Die Stellungen der beruehmtesten Schauspieler, schoen und kunstreich,
wie sie sind, erinnern doch immer an jene akademischen Figuren,
die wir auch auf den franzoesischen Gemaelden finden, und von denen
es auch ihren besten Meistern nicht gelingt, sich ganz zu befreien.
Der Geist der Tragoedie ist nicht der Geist der Nation, die von jeher
alles leicht nahm, was das Schicksal auch immer ueber Sterbliche
verhaengen mag. Die Sprache selbst, ihr Mangel an Tonfall,
widerstrebt der hoeheren Poesie, widerstrebt jeder Deklamation.
Alles wird bloss durch Kunst hervorgebracht, es ist, als hoerte man
einen auf das kunstreichste gebildeten Saenger, dem aber die Natur
eine sonore Stimme versagte. In der hoeheren Komoedie hingegen
steht der Franzose auf der ersten Stufe. Da ist Geist, Leben,
Witz, Laune und der fein gebildete Konversationston zu treffen,
welcher ihn auch im gemeinen Leben vor allen Nationen auszeichnet.
Das englische Theater steht auf dem ganz entgegengesetzten Punkte.
Keine Regel beschraenkt den Dichter, keine den Schauspieler.
Ungebunden ueberlassen beide sich ihrem Genius. Alles steht
dem Dichter zu Gebot, Verse und Prosa, ewiger Wechsel der Szene,
Ausdehnung der Zeit ins Unendliche, alle moeglichen Motive.
Wie schwer es sei, von dieser unbeschraenkten Gewalt den rechten Gebrauch
zu machen, lehrt der Mangel an guten neuen Tragoedien; nur Shakespeares
Riesengeist konnte sie zum Rechten anwenden; noch immer steht er allein da,
das Volk verehrt ihn als seinen einzigen Dichter und draengt sich
unermuedet zu seinen Meisterwerken.
Die englische Komoedie gibt ein treues, oft etwas ueberladenes Bild
des haeuslichen und geselligen Lebens, der Fehler, der Tugenden,
der Laecherlichkeiten, die m
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