o muesste doch der kundige Beobachter
gleich entscheiden koennen, ob er ein englisches, franzoesisches oder
deutsches Theater vor sich saehe. Alle drei koennen in ihrer Art
vortrefflich sein und werden dennoch dem Fremden missfallen.
Denn dieser, mit der Individualitaet der Nationen noch nicht bekannt
genug, will nach seinem eigenen, von hause mitgebrachten Massstabe
messen. Nur nach und nach wird er entdecken, dass das, was ihm zuerst
widerwaertig, unnatuerlich, uebertrieben erschien, dennoch treu, wahr
und bewundernswuerdig ist.
Betrachtet man eine theatralische Vorstellung als ein vollendetes,
abgerundetes Ganze, so haben wir Deutschen vor den anderen Nationen
keinen Vorzug, so viel vortreffliche einzelne Kuenstler wir auch
aufzuweisen haben. Das Weimarische Hoftheater, beguenstigt durch
ein Zusammentreffen vieler seltener, ausserordentlicher Umstaende,
war vielleicht das einzige in Deutschland, auf welchem man noch
zuweilen einzelne Darstellungen einiger Meisterwerke der vorzueglichsten
Dichter erblickte, da sich, durch das Zusammenpassen jedes Teils
zum Ganzen, der Vollkommenheit naeherten.
Dass der deutsche Schauspieler allen alles sein muss, ist ein Unglueck;
dadurch wird er verhindert, sein Talent auszubilden fuer das
seiner Persoenlichkeit am besten zusagende Fach. In Paris und London
ist das anders. Jeder widmet sich den Rollen, zu welchen seine
Individualitaet ihn ruft. Mit dem Alter nimmt man es dort weit weniger
genau als bei uns. Gerechter als wir, bedenkt man: wieviel dazu
gehoert, eine hohe Stufe in irgend einer Kunst zu erringen.
Kein vollendeter Kuenstler ward geboren. Jahre voll Anstrengung
und Studium gehoeren dazu, um das grosse Talent auszubilden;
oft ist die Jugend entflohen, wenn jenes erst in vollem Glanze strahlt.
In Frankreich und England erkennt man dies und laesst sich lieber
willig durch Schminke, Kleidung, Beleuchtung taeuschen, als dass man
den hoechsten Genuss, den die Kunst gewaehren kann, verschmaehte,
weil der Kuenstler einige Jahre zuviel zaehlt.
Der vorzuegliche deutsche Schauspieler ist in Gebaerde, Ton,
Deklamation und Stellung bei weitem der gemaessigste, weil Masshalten
und Ernst in der Natur des Deutschen liegen. Wir erscheinen
unseren Nachbarn kalt, aus demselben Grunde, aus welchem sie uns
uebertrieben erscheinen. Ebenso wird der westfaelische Bauer gewiss
glauben, der Provenzale oder Gascogner wolle ihn totschlagen,
wenn jener ihm bloss nach seiner Landessitte einen g
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