en Kreuzwegen, wo man, um in eine andere Strasse zu gelangen,
die Trottoirs verlassen und ueber den Fahrweg gehen muss,
stehen immer Leute, die geschaeftig einen reinlichen Fusspfad kehren,
der freilich alle Augenblicke durch darueber rollende Wagen wieder
zerstoert wird. Bescheiden wagen sie wohl zuweilen die Frage:
ob man nicht einige einzelne Pfennige fuehre? Und auch ohne diese
gibt man ihnen gern.
An wenigen betretenen Plaetzen, besonders im ruhigen Teile
der Stadt, sieht man oft Maenner, die mit Kreide auf den breiten
Quadersteinen der Trottoirs wunderschoene kolossale Buchstaben
malen, Namen, Sentenzen, Sprueche aus der Bibel. Der Voruebergehende
steht still, bewundert ihre Kunst und belohnt sie unaufgefordert
mit einer kleinen Gabe. Unbegreiflich war es uns immer, wie Leute,
die eine so schoene Hand schreiben, so tief in Armut versinken koennen.
Auf dem festen Lande muesste jeder dieser Bettler als Schreibmeister
oder Schreiber seine reichliche Existenz finden, denn es ist unmoeglich,
etwas Vollkommeneres in seiner Art zu sehen als diese Schrift.
Besonders merkwuerdig aber erschien uns eine Bettlerin, der wir
taeglich in den volkreichsten Strassen der City begegneten.
Man hielt sie allgemein fuer eine durch verschuldete oder unverschuldete
Ungluecksfaelle so tief gesunkene Schwester der beruehmten Schauspielerin
Siddons, wenigstens trug sie eine unverkennbare Aehnlichkeit mit dieser
in ihren Zuegen. Dieselbe hohe, edle Gestalt, derselbe Adel in Blick
und Miene, nur aelter, blass und wie versteinert durch lange Gewohnheit
des Ungluecks. Niemand beschuldigte Mme. Siddons der Haerte gegen
ihre unglueckliche Schwester, denn alle, welche diese Frau
fuer solche ausgaben, fuegten hinzu: sie naehme nichts von ihr an
und wolle nun einmal bloss von fremdem Mitleid ihr Leben fristen.
Oft begegnete uns diese wunderbare Erscheinung. Sie trug immer
einen schwarzseidenen Hut, der nicht so tief in's Gesicht ging,
dass man nicht dessen Zuege haette bemerken koennen; ein gruenwollenes Kleid,
eine schneeweisse grosse Schuerze und ein ebensolches Halstuch.
Schweigend, mit stolzem Ernst wandelte sie, gestuetzt auf zwei Kruecken,
langsam und ungehindert durch die Menge. Jedermann wich ihr
mit einer Art Ehrfurcht aus und ehrte in ihr die Heiligkeit
eines grossen, ungekannten Ungluecks. Sie forderte nicht, sie bat nicht,
aber reichliche Gaben wurden ihr dennoch von allen Seiten geboten,
jeder fuehlte sich gezwungen, getrieben, ihr
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