selben Stelle schon gekommen sind, auch nicht
geoeffnet, sondern ungelesen verbrannt hat. Diesen letzten Brief habe ich
an mich genommen und ihn soeben gelesen.
Mir graut. Schlechtes, fettfleckiges Papier, in elender Rechtschreibung
und noch elenderem Stil die Enthuellung niederster Schakalinstinkte,
Geldgier, Erpressungsversuche, Frechheiten. Was sich wohl sogenannte
feinere Leute einbildeten - sie setzten Kinder in die Welt, kuemmerten sich
aber nicht um sie, sondern liessen sie anderen Leuten zur Last. Ob sich die
feine Gesellschaft je klar geworden sei, was es heisse, ein Kind
aufzuziehen? Zehntausend durchwachte Naechte und bei Tag keine ruhige
Stunde. Ob das mit solchem Lumpengeld wie fuenfzehntausend Mark bezahlt
sei? Sie, die Pflegeeltern, seien brave, sehr christliche Leute, wie das
ganze Stadtviertel bezeugen koennte, und niemand etwas schuldig, aber die
anderen, die zehn Briefe nicht beantworten, was seien die? Das bisschen
Geld, das bezahlt worden sei, sei laengst weg. Das haetten allein Doktor und
Apotheke verzehrt; denn wer weiss, was die Luise von ihren Eltern alles fuer
Krankheiten geerbt habe. Wenn sie, die Pflegeeltern, nicht so kinderliebe
Menschen waeren, laege das Kind laengst auf der Strasse oder im Grabe. Sie
muessten ihr Letztes zusetzen, um das Maedchen zu erhalten. Aber nun habe das
ein Ende. Sie wuerden den ganzen Skandal in die Zeitung bringen und sich
auch an das Vormundschaftsgericht in Waltersburg wenden. Im uebrigen seien
sie bereit, gegen Zahlung von weiteren zehntausend Mark das Maedchen in
Pflege zu behalten, obwohl Luise ein Kind sei, das nur Aerger bereite.
Solches und noch Aergeres enthielt der Brief. Ich trug ihn zur Mutter.
"Lies den Brief!" sagte ich.
Sie schuettelte zornig den Kopf.
"Du musst ihn lesen, Mutter", sagte ich todernst und in hartem Befehlston.
Sie starrte mich an und wurde blass.
Ich legte den Brief auf den Tisch und verliess das Zimmer.
Nach einer Stunde suchte ich die Mutter wieder auf.
Sie lag auf dem Sofa und zuckte wie in Kraempfen.
"Liebe, gute Mutter", sagte ich und streichelte ihren fruehgebleichten
Scheitel.
"Aendere es, Fritz", sagte sie muehsam, "aendere es; tue, was du willst, aber
aendere es - es ist entsetzlich!"
Schmerz und Grauen schuettelten sie.
Ich kuesste ihr die Hand und sagte: "Ich fahre mit dem naechsten Zuge nach
Berlin."
*
Der Zug rollte sein einfoermiges Lied durch die eben
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