JOACHIM
Anfang des Monats bekam ich folgende Depesche: "Treffe drei Uhr fuenfzig
nachmittags Bahnhof Neustadt ein. Bruder Joachim." Das Telegramm war
fruehmorgens in Berlin aufgegeben.
Erst langsam begriff ich, dass da etwas Wunderliches geschah, dass mein
verschollener Bruder ploetzlich heimkehrte. Da quoll es mir heiss durchs
Herz, und ich wollte zur Mutter gehen und ihr das Wunder erzaehlen. Aber
ich ging zuerst zu Stefenson. Er las das Telegramm und sagte gleichgueltig:
"Na also, da holen Sie nur Ihren Bruder von der Bahn ab."
"Ich weiss nicht, wie ich's mit der Mutter machen soll."
"Der Mutter wuerde ich vorlaeufig nichts sagen. Sie wissen ja noch nicht,
warum Ihr Bruder heimkommt. Also sprechen Sie erst mit ihm."
Diesem Rate folgte ich. Schon kurz nach drei Uhr war ich auf dem Bahnhof.
Ich verbrachte qualvolle Minuten des Wartens. Als aber der Zug einlief,
war ich ganz ruhig. Ich sah Joachim an einem Fenster stehen und winkte ihm
zu. Als er ausgestiegen war, sagte ich:
"Willkommen, Joachim; ich freue mich, dass du gekommen bist."
Sein Gesicht war bleich, und die Hand, die er mir gab, war feucht.
"Weiss es die Mutter?"
"Nein. Ich wollte erst mit dir sprechen."
"Das ist gut. Ich kann wohl am besten hier in einem Hotel unterkommen. Ich
heisse Harton, verstehst du, Doktor Harton aus Baltimore."
Er sprach mit einem Gepaecktraeger; dann fuhren wir nach einem Hotel.
Unterwegs fragte ich ihn:
"Bist du gesund?"
"Ja - oder auch nein - ach Gott, ich weiss es selbst nicht."
Ich wollte Joachim erst Zeit lassen, sich zu waschen und ein wenig
auszuruhen, aber er noetigte mich bald mit auf sein Zimmer. Auf seinem
Reisekoffer sass er, den Mantel noch um die Schultern, und sprach mit
gepresster, etwas stossender Stimme:
"Da bin ich nun doch hierhergekommen. Ich haette es nie fuer moeglich
gehalten. Aber als wir anfingen Briefe zu wechseln, verlor ich meine
Sicherheit - das Heimweh - das quaelende Heimweh ..."
Ich trat ans Fenster und sah auf die Strasse.
"Fritz!"
Ich wandte mich ihm wieder zu.
"Fritz, warum habt ihr eigentlich dieses Attentat - nun ja, ich muss schon
Attentat sagen, es hat mich ja ganz wehrlos gemacht - warum habt ihr
eigentlich diese Geschichte mit dem Tagebuch gemacht?"
"Was fuer eine Geschichte mit dem Tagebuch?"
"Nun, dass du mir durch diesen Mister Stefenson, der ja wohl mit dir
geschaeftlich verbunden ist, dein Tagebuch ueber Waltersburg ha
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