fuers ganze Leben einige staehlerne
Geruestschienen in die Seele spannen. Nun wolle er also mit dem Nachtzug
reisen, und er haette es gern, wenn ich ihn zum Bahnhof begleitete, da er
wegen der Vertretung manches Geschaeftliche mit mir noch zu erledigen habe,
womit er den Bruder nicht langweilen wolle. Als wir auf der Strasse waren,
sagte Stefenson: "Nun will ich Ihnen was anvertrauen, damit Sie mir nicht
hinterher wieder aus dem Haeuschen fallen und alles verderben. Also, mein
kleiner Neffe, der Georg, ist naemlich gar kein Junge, sondern ein Maedchen
- er ist die kleine Luise."
"Stefenson, Sie sind toll!"
"Nein. Ich bin vernuenftig. Die kleine Luise muss Ferien von ihrem Ich
machen. Als Maedel ist es ihr hundsmiserabel gegangen, ausgenommen die
letzten dreiviertel Jahr, wo sie in dem Institut war, aber auch dort mehr
Strenge als Liebe, mehr Dressur als Erziehung genossen hat. Heraus soll
sie aus ihrer Haut, ein Junge werden, Courage kriegen, dieses Ducken
abgewoehnen, wenn eine Hand nach ihr fasst; nein, sich selbst 'rumhauen mit
Buben und Strassenboesewichten und immer bei mir sein und da eine gerechte
Behandlung haben."
Ich ging neben dem sonderbaren Manne her, der so Seltsames und Grosses an
meinem Leben getan hatte, und versuchte nur, ihn wenigstens zum
Aufschieben seiner Idee zu bewegen. Er schlug es rund ab.
Keine Gewalt der Erde, sagte er, werde ihn hindern, das Kind, das es in
dem Thueringer Institut viel zu schlecht habe, von dort zu entfernen und es
in der Tracht eines Knaben erst mal zur Lebensfreude und zum Bewusstsein
seiner Kraft und seines eigenen Wertes zu erziehen.
Ich wusste, dass Mister Stefenson in die kleine Luise vernarrter war, als je
ein Vater oder Grossvater in ein Kind war. Allmonatlich war er unter
irgendeinem Vorwand einmal nach Thueringen verschwunden; das Maedchen hatte
sich an den Mann, den sie als ihren liebevollsten Freund erkannte,
jedenfalls dankbar angeschlossen, und dem alten Seehund, den
wahrscheinlich nie eine zaertliche Hand gestreichelt hatte, tat diese
Kindesliebe so wohl, dass er diesmal auf allen kaufmaennischen Vorteil
vergass und wie ein verliebter Narr handelte.
Mochte er es tun!
Stefenson reiste ab.
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Wie hatte er gesagt? Keine Gewalt der Erde wird mich hindern, das Kind
zunaechst mal in der Tracht eines Knaben zu erziehen.
Drei Tage nach Stefensons Abreise bekam ich einen Brief von ihm.
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