us demselben. Ungeniert nahm er Ilse, die
mit ihrer Mama zum Empfange bereit stand, in die Arme und kuesste sie auf
die Wange. Leo begruesste die Damen mit einem Handkuss. Ilse wusste jetzt, wie
sie sich bei einem so kritischen Falle zu benehmen hatte, sie zog die Hand
nicht fort, die Mama hatte es auch nicht gethan.
Die Eltern fuehrten Gontraus hinauf in die bereitstehenden Gastzimmer, Leo
blieb noch zoegernd auf der Veranda stehen. Er trat zu Ilse, die etwas
entfernt von ihm stand. Sie lehnte gegen einen Pfeiler und zupfte sehr
eifrig an einer Weinranke. Sein Blick ruhte auf dem reizenden Maedchen, das
ihm in den wenigen Wochen, seit er sie nicht gesehen hatte, groesser und
schoener geworden schien.
"Sie sind so still und so ernst," redete er sie an, "gar nicht wie im
Lindenhof. Wo ist Ihr froehlicher Uebermut geblieben? Drueckt Sie ein
Kummer?"
"Kummer? o nein!" Und ihre Augen lachten ihn mit der alten Froehlichkeit
an. "Im Gegenteil, eine grosse, grosse Freude habe ich gehabt!" Und sie
verkuendete ihm Nellies Verlobung.
Eigentlich wunderte es sie, dass er so wenig darauf zu erwidern hatte. Fast
keine Miene hatte er bei dieser hochwichtigen Nachricht verzogen. Sein
Blick hing unverwandt an ihren Lippen, und doch schien es, als waeren seine
Gedanken in weiter Ferne.
"Ist sie sehr gluecklich?" fragte er in halber Zerstreuung.
"Gluecklich?" wiederholte Ilse verwundert ueber seine Frage. "Selig ist sie!
Sie muessen nur ihren Brief lesen!"
"Lesen Sie ihn mir vor," bat er. "Lassen Sie uns die schoene Einsamkeit
benutzen, jetzt sind wir ungestoert."
"Das geht nicht! Nein, gewiss nicht!" rief sie beinahe aengstlich. Es
schreckte sie ploetzlich der Gedanke: Wie kannst du ihm Nellies geheimste
Empfindungen offenbaren? - Doch war es dieser Gedanke allein, der sie so
seltsam beklommen machte? Entsprang die Furcht, mit ihm allein zu sein,
aus derselben Quelle?
"Wenn ich Sie sehr darum bitte, auch dann nicht?"
Sie war schon halb auf der Flucht, als seine dringende Bitte ihr Ohr
beruehrte.
"Ich kann nicht! Ich habe im Hause zu thun! Spaeter!" rief sie ihm verwirrt
zu, flog ueber die Veranda hinweg durch den Speisesaal bis in die
offenstehende Thuer des kleinen Boudoirs der Mama.
Er sah ihr nach, bis der Zipfel ihres weissen Kleides entschwunden war. Auf
seinem Antlitz spiegelten sich die verschiedensten Gefuehle, sie drueckten
Zweifel, Hoffnung und Entzuecken aus.
Als Ilse so hastig in das kleine Zimmer
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