Einberufene draengten noch herein und immer wurden
sie mit froehlichen, heiteren Zurufen begruesst. Ein Wiener Zug, schon voll
eingekleideter Soldaten, die ins Feld zogen, fuhr vorbei. Aus den
Gueterwagen schauten die Bursche Kopf an Kopf, ihnen wurde besonders
lebhaft zugejubelt. Allerlei Aufschriften, mit Kreide an den Wagen
angeschrieben, bezeugten die froehliche Stimmung der Krieger. An einem
war zu lesen:
Serbien
Du musst sterbien!
Und unter dem Briefschalter des Postwagens stand: 'Hier werden noch
Kriegserklaerungen angenommen.' Unter Lachen und lautem "Heil, Heil"
rufen, fuhr man an dem Zug vorueber.
So verging Stunde um Stunde; immer dumpfer und drueckender wurde es in
dem Wagen. Ein kleines Kind schrie unablaessig; seine blasse Mutter
entschuldigte sich: sie kam schon aus Italien, fuhr seit zwei Tagen
ununterbrochen. Einer Frau wurde es schlecht; ein Bub stiess des Vaters
volles Bierglas um, das zum Fenster herein gereicht worden war; klebrig
und uebelriechend wurde der Boden. Aber niemand klagte--es war ja
Krieg--man musste sich in alles fuegen, musste froh sein, dass man ueberhaupt
noch fahren durfte; vom naechsten Tag an wurden nur noch Soldaten
befoerdert.
Gegen Abend kam man an die Grenzstation: Zoll, neuer Sturm auf einen
ebenso ueberfuellten Zug.
Wie ein Traum erschien es Frau Lissmann, als sie endlich spaet abends in
den Muenchner Bahnhof einfuhren. Eingekeilt in die Menge liessen sich
unsere mueden Reisenden vom Strom treiben, dem Ausgang zu. Nicht wie
sonst warteten hier die Angehoerigen; der Zutritt war fuer jedermann
gesperrt. Um so dichter stand die Menge an den Ausgangstoren des
Bahnhofgebaeudes und hier war es, wo ploetzlich eine Stimme, eine liebe,
bekannte, froehliche Stimme rief: "Mutter, gruess dich Gott, endlich kommt
ihr! Gebt nur euer Gepaeck her! Hergeben, Lisbeth, ich trage alles! Nur
her, Karl!"
"Philipp!" riefen sie alle erstaunt, "ja woher hast du denn gewusst, dass
wir jetzt kommen?"
"Einmal habt ihr doch kommen muessen! Siebenmal habe ich euch schon
erwartet, vorgestern, gestern und heute; ganz heimisch bin ich geworden
am Bahnhof. Warum seid ihr so spaet gekommen, habt ihr meinen Brief nicht
erhalten?"
"Nein, keinen Brief, auch nicht vom Vater."
"Der Vater kommt morgen. Hat telegraphiert. Auch Ludwig kommt morgen.
Das wird sein, wenn wir erst alle beisammen sind, Mutter. Jetzt kommt
nur heim, ihr seht gar nicht aus, als ob ihr aus der Sommerfrische kaemt.
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