Voltaire brauchte eben nicht Voltaire zu sein,
etwas weit Besseres zu machen.
"Nanine" gehoert unter die ruehrenden Lustspiele. Es hat aber auch sehr
viel laecherliche Szenen, und nur insofern, als die laecherlichen Szenen
mit den ruehrenden abwechseln, will Voltaire diese in der Komoedie geduldet
wissen. Eine ganz ernsthafte Komoedie, wo man niemals lacht, auch nicht
einmal laechelt, wo man nur immer weinen moechte, ist ihm ein Ungeheuer.
Hingegen findet er den Uebergang von dem Ruehrenden zum Laecherlichen und
von dem Laecherlichen zum Ruehrenden sehr natuerlich. Das menschliche Leben
ist nichts als eine bestaendige Kette solcher Uebergaenge, und die Komoedie
soll ein Spiegel des menschlichen Lebens sein. "Was ist gewoehnlicher",
sagt er, "als dass in dem naemlichen Hause der zornige Vater poltert, die
verliebte Tochter seufzet, der Sohn sich ueber beide aufhaelt und jeder
Anverwandte bei der naemlichen Szene etwas anders empfindet? Man
verspottet in einer Stube sehr oft, was in der Stube nebenan aeusserst
bewegt; und nicht selten hat ebendieselbe Person in ebenderselben
Viertelstunde ueber ebendieselbe Sache gelacht und geweinet. Eine sehr
ehrwuerdige Matrone sass bei einer von ihren Toechtern, die gefaehrlich krank
lag, am Bette, und die ganze Familie stand um ihr herum. Sie wollte in
Traenen zerfliessen, sie rang die Haende und rief: 'O Gott, lass mir, lass mir
dieses Kind, nur dieses; magst du mir doch alle die andern dafuer nehmen!'
Hier trat ein Mann, der eine von ihren uebrigen Toechtern geheiratet hatte,
naeher zu ihr hinzu, zupfte sie bei dem Aermel und fragte: 'Madame, auch
die Schwiegersoehne?' Das kalte Blut, der komische Ton, mit denen er diese
Worte aussprach, machten einen solchen Eindruck auf die betruebte Dame,
dass sie in vollem Gelaechter herauslaufen musste; alles folgte ihr und
lachte; die Kranke selbst, als sie es hoerte, waere vor Lachen fast
erstickt."
"Homer", sagt er an einem andern Orte, "laesst sogar die Goetter, indem sie
das Schicksal der Welt entscheiden, ueber den possierlichen Anstand des
Vulkans lachen. Hektor lacht ueber die Furcht seines kleinen Sohnes, indem
Andromacha die heissesten Traenen vergiesst. Es trifft sich wohl, dass mitten
unter den Greueln einer Schlacht, mitten in den Schrecken einer
Feuersbrunst oder sonst eines traurigen Verhaengnisses, ein Einfall, eine
ungefaehre Posse, trotz aller Beaengstigung, trotz alles Mitleids das
unbaendigste Lachen erregt. Man befahl in
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