nten.
Dergleichen missgeschilderte Charaktere, dergleichen schaudernde Tiraden,
sind indes bei keinem Dichter haeufiger, als bei Corneillen, und es koennte
leicht sein, dass sich zum Teil sein Beiname des Grossen mit darauf gruende.
Es ist wahr, alles atmet bei ihm Heroismus; aber auch das, was keines
faehig sein sollte, und wirklich auch keines faehig ist: das Laster. Den
Ungeheuern, den Gigantischen haette man ihn nennen sollen; aber nicht den
Grossen. Denn nichts ist gross, was nicht wahr ist.
Einunddreissigstes Stueck
Den 14. August 1767
In der Geschichte raechet sich Kleopatra bloss an ihrem Gemahle; an
Rodogunen konnte, oder wollte sie sich nicht raechen. Bei dem Dichter ist
jene Rache laengst vorbei; die Ermordung des Demetrius wird bloss erzaehlt,
und alle Handlung des Stuecks geht auf Rodogunen. Corneille will seine
Kleopatra nicht auf halbem Wege stehen lassen; sie muss sich noch gar
nicht geraechet zu haben glauben, wenn sie sich nicht auch an Rodogunen
raechet. Einer Eifersuechtigen ist es allerdings natuerlich, dass sie gegen
ihre Nebenbuhlerin noch unversoehnlicher ist, als gegen ihren treulosen
Gemahl. Aber die Kleopatra des Corneille, wie gesagt, ist wenig oder
gar nicht eifersuechtig; sie ist bloss ehrgeizig; und die Rache einer
Ehrgeizigen sollte nie der Rache einer Eifersuechtigen aehnlich sein. Beide
Leidenschaften sind zu sehr unterschieden, als dass ihre Wirkungen die
naemlichen sein koennten. Der Ehrgeiz ist nie ohne eine Art von Edelmut,
und die Rache streitet mit dem Edelmute zu sehr, als dass die Rache des
Ehrgeizigen ohne Mass und Ziel sein sollte. Solange er seinen Zweck
verfolgt, kennet sie keine Grenzen; aber kaum hat er diesen erreicht,
kaum ist seine Leidenschaft befriediget, als auch seine Rache kaelter und
ueberlegender zu werden anfaengt. Er proportioniert sie nicht sowohl nach
dem erlittenen Nachteile, als vielmehr nach dem noch zu besorgenden. Wer
ihm nicht weiter schaden kann, von dem vergisst er es auch wohl, dass er
ihm geschadet hat. Wen er nicht zu fuerchten hat, den verachtet er; und
wen er verachtet, der ist weit unter seiner Rache. Die Eifersucht
hingegen ist eine Art von Neid; und Neid ist ein kleines, kriechendes
Laster, das keine andere Befriedigung kennet, als das gaenzliche Verderben
seines Gegenstandes. Sie tobet in einem Feuer fort; nichts kann sie
versoehnen; da die Beleidigung, die sie erwecket hat, nie aufhoeret, die
naemliche Beleidigung zu sein, und imm
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