waehlen will; ob die, welche die Historie bestaetiget,
oder eine andere, sowie der moralischen Absicht, die er mit seiner
Erzaehlung verbindet, das eine oder das andere gemaesser ist. Nur sollte er
sich, im Fall dass er andere Charaktere als die historischen, oder wohl
gar diesen voellig entgegengesetzte waehlet, auch der historischen Namen
enthalten und lieber ganz unbekannten Personen das bekannte Faktum
beilegen, als bekannten Personen nicht zukommende Charaktere andichten.
Jenes vermehret unsere Kenntnis, oder scheinet sie wenigstens zu vermehren
und ist dadurch angenehm. Dieses widerspricht der Kenntnis, die wir
bereits haben, und ist dadurch unangenehm. Die Fakta betrachten wir als
etwas Zufaelliges, als etwas, das mehrern Personen gemein sein kann; die
Charaktere hingegen als etwas Wesentliches und Eigentuemliches. Mit jenen
lassen wir den Dichter umspringen, wie er will, solange er sie nur nicht
mit den Charakteren in Widerspruch setzet; diese hingegen darf er wohl
ins Licht stellen, aber nicht veraendern; die geringste Veraenderung
scheinet uns die Individualitaet aufzuheben und andere Personen
unterzuschieben, betruegerische Personen, die fremde Namen usurpieren
und sich fuer etwas ausgeben, was sie nicht sind.
----Fussnote
[1] "Journal Encyclop.", Janvier 1762.
[2] Oben im 23. Stueck.
----Fussnote
Vierunddreissigstes Stueck
Den 25. August 1767
Aber dennoch duenkt es mich immer ein weit verzeihlicherer Fehler, seinen
Personen nicht die Charaktere zu geben, die ihnen die Geschichte gibt,
als in diesen freiwillig gewaehlten Charakteren selbst, es sei von seiten
der innern Wahrscheinlichkeit, oder von seiten des Unterrichtenden, zu
verstossen. Denn jener Fehler kann vollkommen mit dem Genie bestehen;
nicht aber dieser. Dem Genie ist es vergoennt, tausend Dinge nicht zu
wissen, die jeder Schulknabe weiss; nicht der erworbene Vorrat seines
Gedaechtnisses, sondern das, was es aus sich selbst, aus seinem eigenen
Gefuehl, hervorzubringen vermag, macht seinen Reichtum aus;[1] was es
gehoert oder gelesen, hat es entweder wieder vergessen oder mag es weiter
nicht wissen, als insofern es in seinen Kram taugt; es verstoesst also,
bald aus Sicherheit bald aus Stolz, bald mit bald ohne Vorsatz, so oft,
so groeblich, dass wir andern guten Leute uns nicht genug darueber verwundern
koennen; wir stehen und staunen und schlagen die Haende zusammen und rufen:
"Aber, wie hat ein so grosser Mann nicht wissen koe
|