damals an seinem geliebten Tegernsee kennenlernte, war er
nicht mehr der kampflustige Streiter von ehedem, wenngleich sein Gemuet
immer noch gegen Dummheit und Unterdrueckung aufflammen konnte, aber er war
abgeklaert, voll verstehender Guete und gerecht gegen Widersacher und
gegnerische Meinungen.
Auch im Aeussern eine fesselnde Erscheinung, mit dem energisch geformten
Gesichte unter weissen Haaren, mit den ausdrucksvollen Augen, gewann er
einen sogleich mit seinem milden Urteile ueber Menschen und Dinge und mit
seiner lebhaften Anteilnahme an allen die Zeit bewegenden Fragen. Er
verstand es prachtvoll, von seinen Erlebnissen zu erzaehlen, von
bedeutenden Menschen, mit denen ihn das Leben zusammengefuehrt hatte, von
Kaempfen, die ueberwunden waren, von politischen und kulturellen
Streitfragen.
Da sah sich nun Viktor in Beziehungen zu einem von ihr stets bewunderten
geistigen Leben gebracht und fuehlte Interessen in die Naehe gerueckt, die
sie bisher ehrfuerchtig von weitem angestaunt hatte. Oft sagte sie, dass
diese Tage ihre gluecklichsten waeren.
Und es waren ihre letzten.
Mitte Oktober wurde im Muenchner Residenztheater meine "Lokalbahn" zum
ersten Male aufgefuehrt.
Es war die zweite Premiere, die die Alte mitmachte; im Sommer vorher, am
Vorabende meines Namenstages, war sie mit Herzklopfen in der
Erstauffuehrung meiner "Medaille" gesessen. Als sich der Vorhang etliche
Male hob und der Verfasser sich dankend vor dem Publikum verneigen musste
oder durfte, wie die Kritiker schreiben, da gingen ihr die Augen ueber, und
sie sah nicht einmal, was lieblosere Menschen bemerkten, dass ich mit
staubbedeckten Lackschuhen oben auf der Buehne stand.
Ich war zur Auffuehrung gedankenverloren und Traeumen nachhaengend durch den
Englischen Garten gegangen und hatte nicht darauf geachtet, wieviel Staub
sich auf meine Schuhe gelegt hatte. Viktor erwartete mich neben meinen
Bruedern und Schwestern vor dem Theater und konnte mir kaum die Hand zum
Glueckwunsch geben, so beschaeftigt war sie, die Nase zu putzen und die
Traenen abzuwischen.
Nunmehr kam die Premiere der "Lokalbahn", und im dichtgefuellten Parkett
sass sie neben festlich gekleideten Menschen, von denen nur wenige wussten,
wieviel Anteil sie am Schicksale des Stueckes nahm. Es ging wieder gut, und
nach der Auffuehrung fand sich eine zahlreiche Gesellschaft in den "Vier
Jahreszeiten" zusammen. Hirth hielt eine freundliche Rede, und wir blieben
so lange beisammen
|