"Philosoph, wilt Du den Stand deines Jahrhunderts
ehren und nuetzen: das Buch der Vorgeschichte liegt vor Dir! Mit sieben
Siegeln verschlossen, ein Buch voll Weissagung". Aber aehnliches hatte
Goethe selbst schon von der Geschichte der Vergangenheit gesagt;[308]
und vor beiden ihr gemeinsamer Prophet Hamann in den Sokratischen
Denkwuerdigkeiten: "Doch vielleicht ist die ganze Historie mehr
Mythologie als es dieser Philosoph meint, und gleich der Natur ein
versiegelt Buch, ein verdecktes Zeugnis. ein Raetsel, das sich nicht
aufloesen laesst, ohne mit einem anderem Kalbe als unserer Vernunft zu
pfluegen[309]." Aus allen spricht der gleiche Geist der neuen
Gefuehlsrichtung, der sich gegen die herrschende rationalistische erhebt.
Ebenso wenig darf auch aus der von uns angezogenen Stelle[310] ein
Schluss auf die Abfassungszeit der Scene gezogen werden. Es sind
Aeusserungen gleichgestimmter Geister, die gegen dieselben Verkehrtheiten
der Zeit ankaempfen[311].
Ein sicherer Anhalt zur genaueren Zeitbestimmung laesst sich also aus
derlei Anklaengen nicht gewinnen. Die Frage steht demnach noch offen, ob
die Scene 1773 oder 1774 gedichtet sei. Sie erscheint nun in einem
gewissen Zusammenhange mit der ersten Hauptmasse; sie ist mit ihr durch
ein Uebergangsmotiv verbunden, das der junge Goethe auch sonst benutzt
hat. Darf man also vielleicht daraus schliessen, dass sie nach und im
Zusammenhang mit der ersten Hauptmasse entstanden sei? Ist dies nicht
das Natuerlichste? Noetig ist jedoch diese Annahme von vornherein nicht.
Denn da der Stoff der Dichtung seit Jahren in dem Dichter schon lebendig
war und sich mehr und mehr ausbildete, konnte ja nach einem aeusserm
Anstoss und je nach der Stimmung des Dichters sich bald diese, bald jene
Scene aus dem in seinem Geiste bestehenden Zusammenhange losloesen und
ausgestalten; ja es konnte sich sogar, wie es bei Werthers Leiden
eintrat, ein besonderes kleines Werk abzweigen, an das er zunaechst noch
gar nicht gedacht hatte, worauf er mit um so groesserer Klarheit und
Bestimmtheit zu seinem Hauptwerk zurueckkehrte. Wie er es spaeter that,
konnte er auch damals die Absicht sachte neben sich hergehen lassen und
die gerade interessantesten Stellen ausarbeiten[312]. Daher kommt auch,
wie bei dem Volksliede das Sprunghafte in der Komposition. Dem Dichter
war sein Stoff so lebendig, dass er manche Mittelglieder in der
Ausfuehrung von selbst ueberging. Deshalb konnte er recht wohl auch die
Wagnerscene
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