all deine Rechte, nimm meine Freiheit zurueck; sei mein Sultan, mein Held,
mein Gebieter! Ich wuerde dir sonst sehr eitel, sehr ungerecht scheinen
muessen. Nein, tue nichts, als was dich dein Gesetz zu tun berechtiget.
Es gibt Vorurteile, denen man Achtung schuldig ist. Ich verlange einen
Liebhaber, der meinetwegen nicht erroeten darf; sieh hier in Roxelanen
--nichts, als deine untertaenige Sklavin."[1] So sagt sie, und uns wird auf
einmal ganz anders; die Kokette verschwindet, und ein liebes, ebenso
vernuenftiges als drollichtes Maedchen steht vor uns; Soliman hoeret auf,
uns veraechtlich zu scheinen, denn diese bessere Roxelane ist seiner Liebe
wuerdig; wir fangen sogar in dem Augenblicke an zu fuerchten, er moechte die
nicht genug lieben, die er uns zuvor viel zu sehr zu lieben schien, er
moechte sie bei ihrem Worte fassen, der Liebhaber moechte den Despoten
wieder annehmen, sobald sich die Liebhaberin in die Sklavin schickt,
eine kalte Danksagung, dass sie ihn noch zu rechter Zeit von einem so
bedenklichen Schritte zurueckhalten wollen, moechte anstatt einer feurigen
Bestaetigung seines Entschlusses erfolgen, das gute Kind moechte durch
ihre Grossmut wieder auf einmal verlieren, was sie durch mutwillige
Vermessenheiten so muehsam gewonnen: doch diese Furcht ist vergebens,
und das Stueck schliesst sich zu unserer voelligen Zufriedenheit.
Und nun, was bewog den Favart zu dieser Veraenderung? Ist sie bloss
willkuerlich, oder fand er sich durch die besondern Regeln der Gattung,
in welcher er arbeitete, dazu verbunden? Warum gab nicht auch Marmontel
seiner Erzaehlung diesen vergnuegendern Ausgang? Ist das Gegenteil von dem,
was dort eine Schoenheit ist, hier ein Fehler?
Ich erinnere mich, bereits an einem andern Orte angemerkt zu haben,
welcher Unterschied sich zwischen der Handlung der Aesopischen Fabel und
des Drama findet. Was von jener gilt, gilt von jeder moralischen
Erzaehlung, welche die Absicht hat, einen allgemeinen moralischen Satz zur
Intuition zu bringen. Wir sind zufrieden, wenn diese Absicht erreicht
wird, und es ist uns gleichviel, ob es durch eine vollstaendige Handlung,
die fuer sich ein wohlgeruendetes Ganze ausmacht, geschiehet oder nicht;
der Dichter kann sie abbrechen, wo er will, sobald er sich an seinem
Ziele sieht; wegen des Anteils, den wir an dem Schicksale der Personen
nehmen, durch welche er sie ausfuehren laesst, ist er unbekuemmert, er hat
uns nicht interessieren, er hat uns unterrichten
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