werden kann. Ohne
dieses zu ueberlegen, hat man nur an solche Faelle und Fabeln gedacht, in
welchen beide Teile entweder zusammenfliessen, oder der eine den andern
notwendig ausschliesst. Dass es dergleichen gibt, ist unstreitig. Aber ist
der Kunstrichter deswegen zu tadeln, der seine Regeln in der moeglichsten
Allgemeinheit abfasst, ohne sich um die Faelle zu bekuemmern, in welchen
seine allgemeinen Regeln in Kollision kommen und eine Vollkommenheit der
andern aufgeopfert werden muss? Setzet ihn eine solche Kollision mit sich
selbst in Widerspruch? Er sagt: dieser Teil der Fabel, wenn er seine
Vollkommenheit haben soll, muss von dieser Beschaffenheit sein; jener von
einer andern, und ein dritter wiederum von einer andern. Aber wo hat er
gesagt, dass jede Fabel diese Teile alle notwendig haben muesse? Genug fuer
ihn, dass es Fabeln gibt, die sie alle haben koennen. Wenn eure Fabel aus
der Zahl dieser gluecklichen nicht ist; wenn sie euch nur den besten
Glueckswechsel, oder nur die beste Behandlung des Leidens erlaubt: so
untersuchet, bei welchem von beiden ihr am besten ueberhaupt fahren
wuerdet, und waehlet. Das ist es alles!
----Fussnote
[1] Herrn Curtius, S. 214.
----Fussnote
Neununddreissigstes Stueck
Den 11. September 1767
Am Ende zwar mag sich Aristoteles widersprochen oder nicht widersprochen
haben; Tournemine mag ihn recht verstanden oder nicht recht verstanden
haben: die Fabel der "Merope" ist weder in dem einen, noch in dem andern
Falle so schlechterdings fuer eine vollkommene tragische Fabel zu
erkennen. Denn hat sich Aristoteles widersprochen, so behauptet er
ebensowohl gerade das Gegenteil von ihr, und es muss erst untersucht
werden, wo er das groessere Recht hat, ob dort oder hier. Hat er sich aber,
nach meiner Erklaerung, nicht widersprochen, so gilt das Gute, was er
davon sagt, nicht von der ganzen Fabel, sondern nur von einem einzeln
Teile derselben. Vielleicht war der Missbrauch seines Ansehens bei dem
Pater Tournemine auch nur ein blosser Jesuiterkniff, um uns mit guter Art
zu verstehen zu geben, dass eine so vollkommene Fabel, von einem so grossen
Dichter, als Voltaire, bearbeitet, notwendig ein Meisterstueck werden muessen.
Doch Tournemine und Tournemine--Ich fuerchte, meine Leser werden fragen:
"Wer ist denn dieser Tournemine? Wir kennen keinen Tournemine." Denn
viele duerften ihn wirklich nicht kennen; und manche duerften so fragen,
weil sie ihn gar zu gut kennen; wie Montesqu
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