, weit uebertrifft." Dieses letztere wird sie durch ihren
Gehorsam, durch die Aufopferung ihrer Liebe, durch die Gewalt, die sie
ueber ihr Herz gewinnet. Wenn nun aber von allen diesen in dem Stuecke
nichts zu hoeren und zu sehen ist: was bleibt von ihr uebrig, als, wie
gesagt, das schwache verfuehrerische Maedchen, das Tugend und Weisheit auf
der Zunge, und Torheit im Herzen hat?
Den St. Preux des Rousseau hat Herr Heufeld in einen Siegmund umgetauft.
Der Name Siegmund schmecket bei uns ziemlich nach dem Domestiken. Ich
wuenschte, dass unsere dramatischen Dichter auch in solchen Kleinigkeiten
ein wenig gesuchterer, und auf den Ton der grossen Welt aufmerksamer sein
wollten.--St. Preux spielt schon bei dem Rousseau eine sehr abgeschmackte
Figur. "Sie nennen ihn alle", sagt der angefuehrte Kunstrichter, "den
Philosophen. Den Philosophen! Ich moechte wissen, was der junge Mensch in
der ganzen Geschichte spricht oder tut, dadurch er diesen Namen verdienst?
In meinen Augen ist er der albernste Mensch von der Welt, der in all-
gemeinen Ausrufungen Vernunft und Weisheit bis in den Himmel erhebt
und nicht den geringsten Funken davon besitzet. In seiner Liebe ist er
abenteuerlich, schwuelstig, ausgelassen, und in seinem uebrigen Tun und
Lassen findet sich nicht die geringste Spur von Ueberlegung. Er setzet das
stolzeste Zutrauen in seine Vernunft und ist dennoch nicht entschlossen
genug, den kleinsten Schritt zu tun, ohne von seiner Schuelerin oder von
seinem Freunde an der Hand gefuehret zu werden."--Aber wie tief ist der
deutsche Siegmund noch unter diesem St. Preux!
----Fussnote
[1] Teil X, S. 255 u. f.
----Fussnote
Neuntes Stueck
Den 29. Mai 1767
In dem Romane hat St. Preux doch noch dann und wann Gelegenheit, seinen
aufgeklaerten Verstand zu zeigen und die taetige Rolle des rechtschaffenen
Mannes zu spielen. Aber Siegmund in der Komoedie ist weiter nichts, als
ein kleiner eingebildeter Pedant, der aus seiner Schwachheit eine Tugend
macht und sich sehr beleidiget findet, dass man seinem zaertlichen Herzchen
nicht durchgaengig will Gerechtigkeit widerfahren lassen. Seine ganze
Wirksamkeit laeuft auf ein paar maechtige Torheiten heraus. Das Buerschchen
will sich schlagen und erstechen.
Der Verfasser hat es selbst empfunden, dass sein Siegmund nicht in
genugsamer Handlung erscheinet; aber er glaubt, diesem Einwurfe dadurch
vorzubeugen, wenn er zu erwaegen gibt: "dass ein Mensch seinesgleichen, in
einer
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