mungen veranlasst, indem er Land wegnimmt und zusetzt,
und die Gestalt veraendert, und die anderen Zeichen unkenntlich macht,
wodurch das fremde und eigene Besitzthum unterschieden wird. Man muesse
daher immer und immer wieder messen. Hieraus soll die Geometrie entstanden
sein."
Den gesellschaftlichen Einrichtungen der Aegypter entsprechend, muss als
feststehend angenommen werden, dass sich eine Kaste, nach eben Gehoertem
die der Priester, mit dem wissenschaftlichen Theile der Geometrie
beschaeftigte, waehrend eine andere, die der Feldmesser, die von den
Ersteren aufgestellten und sorgsam gehueteten geometrischen Principien
praktisch zur Anwendung brachte. Dabei wurden, wie wir spaeter sehen
werden, die Geheimnisse der Priester, insoweit sie geometrische Wahrheiten
und Berechnungsregeln betrafen, moeglicherweise nur insoweit enthuellt, dass
bei deren Verwendung nur annaeherungsweise richtige Resultate zum Vorschein
kamen.
Wohl sind einige Schriftsteller so weit gegangen, dass sie, die
unlaeugbaren Uebertreibungen des Zusammenhanges zwischen den
Nilueberschwemmungen und der aegyptischen Geometrie im Auge behaltend, die
Existenz der letzteren einfach negirten, und alle die citirten Aussprueche
in das Gebiet der Fabel verwiesen.
Was macht man jedoch dann mit den wohlbeglaubigten Nachrichten ueber die
Reisen, welche hervorragende griechische Philosophen nach Aegypten
unternahmen, oft jahrelang dort verweilend, um sich in die Geheimnisse
aegyptischer Priester einweihen und mit deren geometrischem Wissen
vertraut machen zu lassen?
*Eudemus von Rhodos*(10), einer der aeltesten Peripatetiker, schrieb eine
Geschichte der Mathematik, aus welcher uns durch *Proklos Diadochus*(11),
einen Philosophen des fuenften nachchristlichen Jahrhunderts, ein
Bruchstueck erhalten ist, welches sozusagen das einzige Mittel bildet, das
uns einen Einblick in die geometrischen Errungenschaften der Griechen in
den ersten dritthalb Jahrhunderten nach *Thales* gewaehrt. Hierin heisst es
unter Anderem: "*Thales*, der nach Aegypten ging, brachte zuerst die
Geometrie nach Hellas hinueber und Vieles entdeckte er selbst, von Vielem
aber ueberlieferte er die Anfaenge seinen Nachfolgern; das Eine machte er
allgemeiner, das Andere mehr sinnlich fassbar." Hundert Jahre nach dem
Tode des *Pythagoras* berichtet der Redner *Isokrates*(12): "Man koennte,
wenn man nicht eilen wollte, viel Bewunderungswuerdiges von der Heiligkeit
aegyptischer Priester anfuehr
|