lkommenes Wesen sein, aber die Traditionen mussten den
praechtigen Namen haben, dass sie allein heilige, vollkommene Werke
hiessen. Derhalben war kein Mass noch Ende, solche Traditionen zu
machen.
Zum dritten, solche Traditionen sind zu hoher Bescherung der
Gewissen geraten. Denn es war nicht moeglich, alle Traditionen zu
halten, und waren doch die Leute in der Meinung, als waere solches
ein noetiger Gottesdienst, und schreibt Gerson, dass viele hiemit
in Verzweiflung gefallen, etliche haben sich auch selbst
umgebracht, derhalben, dass sie keinen Trost von der Gnade Christi
gehoert haben. Denn man sieht bei den Summisten und Theologen, wie
die Gewissen verwirrt, welche sich unterstanden haben, die
Traditionen zusammenzuziehen, und "epieikeias" gesucht, dass sie
den Gewissen huelfen, haben so viel damit zu tun gehabt, dass
dieweil alle heilsame christliche Lehre von noetigeren Sachen, als
vom Glauben, vom Trost in hohen Anfectungen und dergleichen,
daniedergelegen ist. Darueber haben auch viel fromme Leute vor
dieser Zeit sehr geklagt, dass solche Traditionen viel Zank in der
Kirche anrichten, und dass fromme Leute, damit verhindert, zu
rechter Erkenntnis Christi nicht kommen moechten. Gerson und
etliche mehr haben heftig darueber geklagt. Ja, es hat auch
Augustino missfallen, dass man die Gewissen mit so viel Traditionen
beschert [hat]. Derhalben er dabei Unterricht gibt, dass man's
nicht fuer noetige Dinge halten soll.
Darum haben die Unsern nicht aus Frevel oder Verachtung
geistlicher Gewalt von diesen Sachen gelehrt, sondern es hat die
hohe Not gefordert, Unterricht zu tun von obangezeigten Irrtuemern,
welche aus Missverstand der Tradition gewachsen sind. Denn das
Evangelium zwingt, dass man die Lehre vom Glauben solle und muesse
in [den] Kirchen treiben, welche doch nicht mag verstanden werden,
so mann vermeint, durch eigenerwaehlte Werke Gnade zu verdienen.
Und ist also davon gelehrt, dass mann durch Haltung
gedachter menschlicher Traditionen nicht kann Gnade verdienen oder
Gott versoehnen oder fuer die Suende genugtun. Und soll derhalben
kein noetiger Gottesdienst daraus gemacht werden. Dazu wird Ursache
aus der Schrift angezogen. Christus entschuldigt Matth. 15, 3.9 die
Apostel, dass die gewoehnliche Traditionen nicht gehalten haben,
und spricht dabei: "Sie ehren mich vergeblich mit Menschengeboten."
So er nun dies einen vergeblichen Dienst nennt, muss er nicht
noetig sein. Und bald hernach: "Was zu
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