ie ist wissend, verstehend, verzeihend, ohne
Haltung und Form; sie hat Sympathie mit dem Abgrund, sie ist der
Abgrund. Diese also verwerfen wir mit Entschlossenheit, und fortan
gilt unser Trachten einzig der Schoenheit, das will sagen der
Einfachheit, Groesse und neuen Strenge, der zweiten Unbefangenheit und
der Form. Aber Form und Unbefangenheit, Phaidros, fuehren zum Rausch
und zur Begierde, fuehren den Edlen vielleicht zu grauenhaftem
Gefuehlsfrevel, den seine eigene schoene Strenge als infam verwirft,
fuehren zum Abgrund, zum Abgrund auch sie. Uns Dichter, sage ich,
fuehren sie dahin, denn wir vermoegen nicht, uns aufzuschwingen, wir
vermoegen nur auszuschweifen. Und nun gehe ich, Phaidros, bleibe du
hier; und erst wenn du mich nicht mehr siehst, so gehe auch du."
* * * * *
Einige Tage spaeter verliess Gustav von Aschenbach, da er sich leidend
fuehlte, das Baeder-Hotel zu spaeterer Morgenstunde als gewoehnlich. Er
hatte mit gewissen, nur halb koerperlichen Schwindelanfaellen zu
kaempfen, die von einer heftig aufsteigenden Angst und Ratlosigkeit
begleitet waren, einem Gefuehl der Ausweg-und Aussichtslosigkeit, von
dem nicht klar wurde, ob es sich auf die aeussere Welt oder auf seine
eigene Existenz bezog. In der Halle bemerkte er eine grosse Menge zum
Transport bereitliegenden Gepaecks, fragte einen Tuerhueter, wer es sei,
der reise, und erhielt zur Antwort den polnischen Adelsnamen, dessen
er insgeheim gewaertig gewesen war. Er empfing ihn, ohne dass seine
verfallenen Gesichtszuege sich veraendert haetten, mit jener kurzen
Hebung des Kopfes, mit der man etwas, was man nicht zu wissen
brauchte, beilaeufig zur Kenntnis nimmt, und fragte noch: "Wann?" Man
antwortete ihm: "Nach dem Lunch." Er nickte und ging zum Meere.
Es war unwirtlich dort. Ueber das weite, flache Gewaesser, das den
Strand von der ersten gestreckten Sandbank trennte, liefen kraeuselnde
Schauer von vorn nach hinten. Herbstlichkeit, Ueberlebtheit schien ueber
dem einst so farbig belebten, nun fast verlassenen Lustorte zu liegen,
dessen Sand nicht mehr reinlich gehalten wurde. Ein photographischer
Apparat, scheinbar herrenlos, stand auf seinem dreibeinigen Stativ am
Rande der See, und ein schwarzes Tuch, darueber gebreitet, flatterte
klatschend im kaelteren Winde.
Tadzio, mit drei oder vier Gespielen, die ihm geblieben waren, bewegte
sich zur Rechten vor der Huette der Seinen, und, eine Decke ueber den
Knieen, etwa
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